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HS über das Leben de
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Interview geführt von Manfred Rebhandl
erschienen im Wiener vom September 2017


Sie waren als 30jähriger schwer krank. Hat das Ihr Denken geschärft, in Richtung „Wenn ich schon weiterlebe, dann will ich jedenfalls erfolgreich sein in dem, was ich tue“?
So unmittelbar nicht, aber es war schon eine Zäsur. Bis dahin war das Leben für mich unbeschwert, ziemlich Rock'n Roll. Auf einmal lag ich mit der Diagnose „Knochenkrebs“ im Krankenhaus und bekam eine Endoprothese eingesetzt, vom Unterschenkel bis zum Becken. Das war 1988 noch eine medizinische Pioniertat. Heute baut man künstliche Knie ähnlich problemlos ein wie Hüftprothesen. Obendrein wurde mein Körper 8 Monate lang mit einer noch mittelalterlichen Chemotherapie bearbeitet, die nach heutigem Wissenstand ziemlich mörderisch war.

Was macht so eine Krankheit mit einem?
Bei mir war die Krankheit durchaus sinnstiftend. Was einen nicht umbringt, macht einen ja auch lebenslustiger. Man leistet sich selten den Luxus von Sinnkrisen. Und ich entdeckte damals Dinge, die ich vor der endgültigen Löffelabgabe noch unbedingt machen wollte. Bis dahin war ich ja „nur“ begeisterter Rockmusiker.

Mit der Band Wiener Wunder. Das haben Sie ernst genommen?
Natürlich. Und, was heute schwer vorstellbar ist: wir konnten schlecht, aber doch davon leben. Wir hatten viele Auftritte, allein im Club „U4“ haben wir sicher zehn Mal gespielt.

Diese Zeit in Wien wird heute von vielen verklärt.
Das war auch eine super Zeit. Ich kann mich erinnern, dass ich im Winter 1980 mit meinem damals wie heute besten Freund Lothar Scherpe – der Keyboarder vom Wiener Wunder, jetzt ein führender Filmmusik-Komponist – in meinem klapprigen Renault 4 nach Berlin gefahren bin. Wir gingen gleich mal ins berühmte Szenelokal „Dschungel“, und da war wirklich alles anders – coole Musik, die wir nicht kannten und kurzhaarige Menschen, die angezogen waren wie in einem futuristischen Film. Das war schon richtungweisend. Wir haben uns zwar weiterhin an Jazz und Bluesrock orientiert, aber unsere Texte waren fortan deutsch – alles andere wäre im Wiener Sog der Neuen Deutschen Welle eher ignoriert worden.

So eine schöne Zeit kommt nie wieder…
Ich bin ganz und gar nicht sentimental. Es macht mich unangenehm betroffen, wenn mir jemand Sympathischer gegenübersitzt und sagt, die beste Zeit seines Lebens wäre irgendwann gewesen. Wie schade, wie tragisch. Ich versuche tatsächlich, jeden Tag so hinzukriegen, dass er ein tauglicher letzter sein könnte. Das gelingt manchmal schlechter, manchmal besser. Wenn man die folgende Kalenderweisheit bewusst verfolgt, ist sie ein gutes Lebensmotto – willst du etwas wirklich tun, dann tu es sofort.

Verspüren Sie da dieses „innere Brennen“, von dem viele Künstler reden?
Nein, das hätte ja etwas von „müssen“. Und, dass ich etwas Zwänglerisches hätte, wäre mir bis jetzt nicht aufgefallen. Meine Umwelt wird allerdings bestätigen, dass ich relativ hartnäckig bin.

Unangenehm hartnäckig?
Nein. Ein alter, erfahrener Schauspieler sagte kürzlich zu mir: „Das habe ich noch nie erlebt, dass jemand so leise so viel weiterbringt.“ Eines der schönsten Komplimente, die ich je gekriegt habe. Ich denke, nur die Dummheit braucht Lärm. In meiner Familie herrschte ein streitlustiges und konfliktfreudiges Klima. Aber die Dialoghoheit gewann man nur mit Inhalt, nicht mit Lautstärke. Und es war wichtig, Pointen aus den gar nicht wunderbaren Verhältnissen rauszuprügeln.

Das hat Sie geschult, fürs Schreiben von Komödien?
Für meine Filme ist mir der Begriff „Satire“ lieber als „Komödie“, aber – ja. In beiden Genres geht es um den Humor, den man selbst pflegt, den man trainieren kann wie einen Muskel. Ich bin der deutlich Jüngste von drei Geschwistern. Obendrein war von Vorteil, dass ich schon früh an gewissen Beschädigungen laborierte – man hat mich, vielleicht aus Mitleid, immer eher ausreden lassen als unterbrochen.

Was waren das für Beschädigungen?
Ich habe meinen Krebs als Krankheit eher ignoriert, um mich auf mein beschädigtes Bein zu konzentrieren. Und, schon als Kind musste ich zum Beispiel 2 harte Jahre lang ein Gipskorsett tragen, wegen einer Oberarmzyste mit nachfolgender Knochenmark-Transplantation. Das war eine veritable Beschädigung. Aber, sie hat mich zum Lesen gebracht, sehr viel anderes konnte ich ja nicht machen. Später bin ich am BRG 4 – in der Waltergasse, einer wunderbaren Schule – trotzdem zu einem achtbaren Tormann aufgestiegen.

Wer war Ihr Idol? Sepp Maier?
Nein. Ich mochte die deutsche Fußballerseele, wie sie damals war und heute nicht mehr ist, gar nicht – in ihrer schwach begründeten Überheblichkeit. Die Generation der Beckenbauers, Breitners und Maiers, die war einfach nichts für mich.

Stattdessen?
Wie hieß dieser geniale Sowjetrusse... Lew Jaschin!

Ihre Stärken im Tor?
Ich war reflexstark, auch ein Elferkiller. Das Herauslaufen war wegen des Betonbodens am Schulplatz relativ schwierig, auch war ich nicht der beste Fänger. Jedenfalls habe ich pro Monat ein Paar Knieschützer verbraucht, was das Familienbudget schon belastet hat.

Sie wollten dann unbedingt einen Film machen, nach Ihrer Krankheit. Wie haben Sie sich geschult?
Ich habe Anfang der Neunziger zwei Sommer mit Regietraining am American Film Institute in LA verbracht. Zudem hatte ich als Redakteur und Gestalter beim legendären ORF-Jugendmagazin Ohne Maulkorb viele Möglichkeiten, mich mit der Praxis des Filmemachens zu beschäftigen. Ich wusste also schon, was ich wollte, als ich Mitte der Achtziger die Kabarettgruppe Schlabarett kennenlernte. Zudem war ich mit Andreas Vitásek zur Schule gegangen und unter den wenigen, die den ersten Wiener Auftritt von Josef Hader sahen. Die erzählten alle keine Geschichten auf der Kleinkunstbühne. Die stellten was dar, auf ziemlich virtuose Art und Weise.

Und irgendwann Anfang der neunziger Jahre sahen Sie das Schlabarett-Programm Muttertag. Das war schicksalhaft.
Kann man so sagen. Wie die Akteure dabei alle Rollen spielten, Alte und Kinder, das gefiel mir. Daraus entstand der Wunsch, das in filmische Realität zu übersetzen, ohne abstrakte Stilisierung.

Waren die Schlabarettisten gleich begeistert?
Die konnte von mir überzeugt werden und fanden das auch spannend. Ob sie vor der Kamera gut sein würden, musste ausprobiert werden. Das Projekt wurde von den Förderstellen dreimal abgelehnt – was sicher auch daran lag, dass Erwachsene Kinder spielen sollten. Aber ich war mir so sicher, dass das geht! Heute weiß ich, dass es vor allem für Jugendliche besonders interessant ist, ihr Leben von Erwachsenen dargestellt zu sehen. Das hat etwas integrativ Tröstliches. Das war ein unerwarteter Kollateralbenefit.

Es gab auch Feinde: „So ein Schas! Frechheit!“
Oh ja, die gab es, und das hallt bis heute nach. Am Anfang war ich fassungslos, die Kritik war ja ultrahart. Was ich aber sehr interessant fand: die Feinde waren so leidenschaftlich! Am Ende hat man als Kunstschaffender meines Zuschnitts nur einen, sehr launenhaften Verbündeten – das ganz normale Publikum.

War die Kritik schmerzhaft?
Kurz. Dann wird die Haut schnell dicker. Bis heute wirkt aber nach, dass meine Filme bei wichtigen Branchen-Events nicht zugelassen werden. Feuilleton-Chefs, Festivalleiter und nervenschwache Bildungsbürger im Allgemeinen gehören nicht zu den Menschengruppen, die gern sehen, was ich tue.

Schielen Sie auf den programmierten Erfolg?
Das geht ja gar nicht. Ich erzähle einfach gern Geschichten, deren Form und Inhalt die Leute verunsichern, provozieren und im besten Fall dumme Vorurteile erschüttern. Ich versuche meine Filmfiguren vielschichtig und identifikationstauglich zu gestalten.

Ein paar Filmzitate, und was Sie damit verbinden: „Sagen Sie nichts gegen Masturbation! Das ist Sex mit einem Menschen, den man wirklich liebt.“
Woody Allen! Ich finde, dass er aufgrund der Möglichkeiten, die man ihm bis heute bietet, völlig zu Recht etwas Exemplarisches machen kann. Nämlich fast alles, was ihm einfällt, umzusetzen. Das war und ist gut für die Filmkultur dieser Welt. Eine wunderbare Mischung aus Humor und Ernsthaftigkeit.

„Das muss das Boot aushalten!“
„Das Boot“?

Richtig. Waren deutsche Karrieren wie die von Wolfgang Petersen für Sie vorbildlich?
Vorbilder habe ich in dem Sinn überhaupt keine. Als Kunstschaffender ist man von allem beeinflusst, was man erlebt. Auch von einem schlechten Film kann ich ziemlich viel lernen. Noch viel mehr natürlich von Filmen, die ich für makellos halte. Die schaue ich dann gern bis zu fünfzehnmal an. Der letzte, bei dem es mir so ging, war „Relatos salvajes“ (Wild Tales), ein argentinischer Film, der für mich keine Fehler hat. „Seven“ von David Fincher ist auch so ein Fall.

„Haben die Lämmer aufgehört zu schreien?“
„Das Schweigen der Lämmer.“ Ich habe bei Genrefilmen keine Berührungsängste. Mit Maayan Oz, der wunderbaren, israelischen Autorin, die das Drehbuch zu meinen Film „Baumschlager“ geschrieben hat, habe ich bereits ein weiteres fertig, für einen Genre-Film. Irgendetwas in der Gefühlswelt zwischen Quentin Tarantino und Guy Ritchie – Motto „Jeder gegen jeden“.

Na gut, dann gleich Tarantino: „Ich bin vielleicht ein Bastard, aber ich bin kein verdammter Bastard.“ Wie schwer ist es, gute Dialoge und Oneliner zu schreiben?
Geglückte Pointenführung hat viel mit Rhythmus zu tun. Und wohl auch mit Mathematik, was einem aber die gefühlvolle Auswahl unter den Möglichkeiten nicht erspart. Was Tarantino angeht, halte ich „Pulp Fiction“ für seinen deutlich besten Film, der ist in der Erzählung am stärksten, danach… na ja. Wo ich in letzter Zeit wirklich gebannt davor saß und das Gefühl hatte, ich lerne auf die schönst mögliche Art, war die dritte Staffel von „Fargo“. Da war ich am Ende richtig euphorisiert und dachte: Es geht ja! Wie klug, feinsinnig und komisch das ist!

„Wir sind im Auftrag des Herren unterwegs.“
„Blues Brothers“. Manchmal sind es die einfachsten Ideen, die am besten funktionieren: Zwei Typen in schwarzen Anzügen, Sonnenbrillen, ein altes Auto, Musik vom Feinsten. Sehr gut.

„Hier spricht Ripley, letzte Überlebende der Nostromo. Ende der Durchsage.“
Sigourney Weaver in „Alien“. Großartiges Erlebnis auf der Riesenleinwand im Gartenbaukino.

À propos „Gartenbaukino“. Ihr Verhältnis zur Viennale war schwierig?
Kann man so nicht sagen. Ich habe nie eine Diskussion mit Herrn Hurch darüber geführt, ob er einen meiner Filme spielen würde. Aber es verband uns ein Verhältnis auf Augenhöhe, was man sich in meinem Fall selten leistet. Wir haben einander geschätzt, er schrieb mir zu jeder Einladung zwei, drei handschriftliche Zeilen dazu.

„Ich will das haben, was sie hatte!“
„Harry und Sally“? Die Orgasmusszene?

Richtig. Was ist für Sie die beste Komödie?
Das werde ich oft gefragt, und ich denke immer ernsthaft darüber nach. Ist ja zunächst die Frage, was ist eine Komödie? Jedenfalls ist „Das Appartement“ von Billy Wilder ein wunderbarer Film.

Ein unglaublicher Film!
Genau. Und über den sagen manche Menschen, er wäre eine Komödie. Ich sage hingegen, dieser Liebesfilm arbeitet mit komödiantischen Mitteln. Etliche Filme von Almodóvar finde ich gut, oder „Night On Earth“ von Jim Jarmusch. Wenn man zum Beispiel Finnland nicht kennt, gewinnt man durch diesen Film einen Zugang zur finnischen Seele, und das ist ja schon etwas wert. Und, ganz wichtig: ich gehöre zu den Generationen, die in den 70er Jahren mit „Monty Python“ sozialisiert wurden.

„Jeder nur ein Kreuz!“
„Das Leben des Brian“ gehört sicher zu meinen Lieblingsfilmen. Das ist der ausgeschlafenste Film von „Monty Python“, der hat so viel Wahrheit.

Und er ist sehr respektlos. Für eine Komödie auch nicht unwichtig, oder?
Das ist immer ein Leitmotiv, in meiner Arbeit – dass man nicht zimperlich sein darf, im Umgang mit Tabus! Auch Brachialkomödien können etwas Befreiendes haben für junge Leute. „Wayne's World“ ist ja zum Beispiel von der Betriebstemperatur her nicht komplett anders als Muttertag. Das befreiende Lachen und das Humortraining durch Anarchie ist total wichtig.

Man fängt ja als Kind irgendwann an, „Gacksi, Bumsi, Lulu, Scheiße“ zu sagen...
Und schon ist Entscheidendes passiert!

Sie werden nächstes Jahr 60. Wird groß gefeiert? Gibt’s etwas, wofür Sie langsam zu alt sind?
Das ist für mich kein Thema. Ich habe eine ganz schlechte Selbstwahrnehmung. Mir geht es immer genau so, wie es mir gerade geht. Ich fühle mich daher tendenziell alterslos. Aber ich habe nichts gegen Geburtstage und feiere gerne, wobei sich mir die Sinnhaftigkeit des völligen Kontrollverlustes bis heute nicht erschlossen hat. Lieber ein angeregtes Gespräch bei einer Flasche Wein oder einem feinen Rum.

Wie halten Sie Ihr Arbeitspensum durch, wie pushen Sie sich?
Ich schlafe vor allem viel. Unter acht Stunden geht nichts, wobei die Tageszeit egal ist. Meiner Erfahrung nach hält einen das gesund. Stephanie Sargnagel hat neben anderen schönen Sachen mal geschrieben: „Ich glaube, mein Hirn besteht nur aus dem Belohnungszentrum“. Das ist auch bei mir ziemlich ausgeprägt. Ein gutes Verhältnis zu sich selbst ist generell wesentlich. Wenn man sich selbst nicht leiden kann, ist es eine Frechheit, das von anderen einzufordern.

Machen Sie lieber Fernsehen oder Kino?
Ich höre, die größte Medienorgel, die man auf der Welt mit einer einzigen Ausstrahlung bespielen kann, sei ein „Tatort“-Krimi. Habe ich schon oft und gern gemacht. Aber das Kino ist der „Tempel der Träume“, da geht nichts drüber! Ich gehöre nicht zu den Pessimisten, die sagen, das Kino wird sterben. Es wird immer Leute geben, die sich gern etwas gemeinsam mit vielen anschauen, auf einer möglichst großen Leinwand.

„Ich bin der König der Welt!“, heißt es in „Titanic". Sind Sie der Film-König von Wien?
Nein. Ich war und bin ein einsamer Nischenbewohner. Zumindest haben mich die selbsternannten Hüter der Filmkunst unter Quarantäne gestellt. Ich sitze auch nicht am Set und mache auf Chef. Ich habe kennengelernt, wie furchtbar das ist, wenn jemand seine privaten Probleme nicht bei der Therapeutin abhandelt, sondern auf einem Filmset.

„In den entscheidenden Momenten deines Lebens warst du immer ohne Taschentuch.“
Kenne ich nicht.

„Vom Winde verweht“. Darf man weinen im Kino?
Ich bin sowieso nahe am Wasser gebaut, wie mein verstorbener Freund Ernst Hinterberger gesagt hätte. Ich halte mich für ziemlich empathiefähig, ich weine auch leicht – am liebsten beim Lachen.

Waren Sie Hinterberger sehr nahe?
Nur so viel: Er hat gern darauf hingewiesen, dass ich von allen Regisseuren, mit denen er gearbeitet hätte, der einzige Wiener sei. Das war mehr als eine Tatsachenfeststellung. Das war ein Ehrenzeichen.