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Jetzt sollen Züge in die Zukunft fahren – der österreichische Regisseur Harald Sicheritz schreibt den Dritten Mann fort
von Eva-Maria Lenz, erschienen in der FAZ vom 23.10.2007

Österreich 1953. Überall locken Aufbruch und Neuanfang. Der Film Im Reich der Reblaus beginnt mit der Bahnreise zu einer Hochzeit im Burgenland. Die Schneiderin Elfi (Nina Proll) hütet ihren kleinen Sohn und den Riesenkarton mit dem Brautkleid für die junge Gräfin. Deren Onkel Ulmendorff (Harald Krassnitzer), Auftraggeber des Kleids und Chef einer Wiener Maschinenfabrik, strahlt derweil Wohlwollen aus. Auch sein Angestellter Hasak reist mit zum Fest. Fährt hier ungebremst der Zug Richtung Zukunft?

Nur für ein paar Glücksmomente. Denn überall drohen auch Kontrollen und Fallen, Krisen und Intrigen. Harald Sicheritz' Film verschränkt persönliche Geschicke und politische Geschichte in sich überlagernden Konfliktfeldern – zum einen wirken nationalsozialistische Wunden und Sünden nach, zum andern breiten sich akut Schwarzmarkt und Grauzonen von Wirtschaftsdelikten aus, die auf Spannungen zwischen den Besatzungsmächten, den westlichen Alliierten und der Sowjetunion, bauen.
So wird im sowjetischen Sektor der Bahnstrecke der menschenfreundliche Ulmendorff jäh verhaftet, weil Hasak ihn bei den Russen anzeigte. Doch kaum profitiert der Denunziant in der Wiener Firma von Ulmendorffs Verschwinden, da übernimmt deren Leitung wieder der frühere jüdische Besitzer Berkowitz, der seine Emigrationserfahrungen nun im Wiener Konkurrenzgerangel umsetzt. Zwei Gegenspieler profilieren sich im Überlebenskampf: Während Roland Düringers Hasak krass angreift, gewinnt August Zirners Berkowitz als verhaltener Virtuose ungewöhnlicher Tricks.

Spannungsreich ballt der 1958 geborene Autor und Regisseur Sicheritz Zukunftshoffnungen und Zweischneidigkeiten der fünfziger Jahre. Hervorragend besetzt, beeindruckt sein Film auch als vielversprechender Auftakt seiner österreichischen Reihe Mutig in die neuen Zeiten.

Mit signifikantem Helldunkel erinnern Sicheritz' Gesellschaftsbilder an Carol Reeds legendären Wurf Der dritte Mann nach Graham Greene (1949). Aber was jetzt die Szene bewegt, ist weniger Wiener Zitherklang als amerikanische Jazz- und Tanzmusik, für alle der Sound der neuen Zeit. So träumt Elfi mit ihrem Captain vom gemeinsamen Leben in den Vereinigten Staaten. Doch tragischer noch als die anderen Hauptfiguren erlebt sie die zeittypischen Zerreißproben. Ihr Mann kehrt heim, gezeichnet von russischer Gefangenschaft. Auf Elfi lastet nun die Entscheidung zwischen dem lässigen Geliebten und dem zerquälten Vater ihrer Kinder. Der Heimkehrer selbst fühlt sich fremd am Ziel seiner Sehnsucht, nicht nur bei der Familie, sondern – nach seinen Sowjeterfahrungen – auch bei den früheren linken Parteifreunden.

Eine satirisch pointierte Version des Hinundhergerissenseins bietet das eingangs vermählte Adelspaar, das, auf der Suche nach Neuland, das Traditionsschloss des zuerst sowjetnahen, dann nationalsozialistisch belasteten Vaters (Helmut Berger) hinter sich lässt. Mit Sinn für Details und kräftigem Griff ins volle Leben vergegenwärtigt Sicheritz die ersten Aufschwungs- und letzten Besatzungsjahre.