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Interview geführt von Claus Philipp
erschienen in Der Standard vom 24.11.2002

Beginnen wir beim Naheliegenden. Als Vorschlag für eine Bildunterschrift zu Ihrem „Österreich-Bild“ schrieben Sie: „Es kommt einem ja einiges hoch, in Wahlzeiten. Daher unbedingt nüchtern die Bürgerpflicht erfüllen und sich erst danach in der Hoffnung auf bessere Zeiten ausgiebig stärken.“
Mir persönlich kommt ja immer weniger hoch. Weil dazu ein Maß an Überraschung gehören würde, das ich angesichts der Tagespolitik schon lange nicht mehr empfunden habe.

Was zuletzt von Parteien als Coups oder Clous von Quereinsteigern verkauft wurde, waren also keine Überraschungen?
Nein, nicht wirklich. Wenn man auch nur einen halben Schritt zurücktut, sind die nicht mehr überraschend. Ich glaube auch nicht, dass sie die anderen Leute so wahnsinnig beeindrucken. Und die Gedächtnisse sind mittlerweile ziemlich auf Kurzzeit eingestellt. Anders wäre es nicht möglich, dass sich derzeit Verhalten und Ankündigungen mancher Politiker permanent massiv ändern, ohne dass das irgendjemandem besonders zu schaffen macht. Dieser Ministerverschleiß der FPÖ in den letzten Jahren zum Beispiel... am Zugang der Österreicher zu den Parteien ändert das offenbar nichts.

Von einem Tag auf den anderen andere Haltungen, Vorstellungen, Varianten. Könnte man diesen Wahlkampf, bei dem oft ein Bild, das man sich machen soll, nicht mehr zum anderen passte, als Kette von Anschlussfehlern beschreiben? Als etwas, das sich also nicht einmal ein Amateurfilmemacher erlauben sollte?
Ein gutes Bild – es gibt keine „Continuity“ mehr. Man hat schon länger, nicht erst seit dieser letzten Regierung, das Gefühl, dass kaum etwas einen auch nur mittelfristigen Bogen beschreibt und gleichzeitig der ideologiefreie oder, richtiger, ideologiebefreite Raum immer größer wird.

Das Problem betrifft aber scheinbar alle: die Politiker, ihre Wähler und die Kritiker der beiden.
Das klassische Henne-Ei-Paradigma. Reagieren die einen auf das, was so uncharmant als Masse umschrieben wird? Oder wird man seinerseits von etwas regiert, das man selber herstellen wollte? Ich glaube: eher Letzteres.

Und was wollte man herstellen?
Etwas leicht Beeindruckbares. „Lenkbar“ will ich gar nicht sagen, weil einen Masterplan haben wir hierzulande sicher nicht. Das Ganze ist einfach so ein Agieren-Reagieren-Spiel geworden. Wobei die Agierenden oft gar nicht warten müssen, ob jemand reagiert. Sie leisten sich sogar dieses Versäumnis.

Wie überall gab's ja auch zuletzt vor der deutschen Wahl diese TV-Konfrontationen. Da haben sich die Sender wie verrückt als „wahlentscheidend“ – vor allem für die Wechselwähler – inszeniert. Glauben Sie, dass Fernsehen da wirklich diese große Rolle spielt – wenn man das Kurzzeitgedächtnis mitbedenkt?
Das kann man nicht ausschließen. Aber einmal mehr geht's dann nicht um Inhalte, sondern um optische, momentane Wirkung. Denken Sie nur an die TV-Duelle der 70er Jahre: da gab es auch beschränkte Redezeiten, aber damit hantierte man eher großzügig.

Schirennen wurden damals auch noch nicht mit Hundertstelsekunden gemessen.
Das ließe sich durchaus mit der Politik zusammen denken. Die klassische Schlagzeilen-Reduzierung von Reden, die schlägt auch auf den Redner zurück. Die Inszenierung richtet sich nämlich nicht nur an die, die das konsumieren. Sie färbt auch auf die ab, die so etwas machen. Und das wird, durchaus vergleichbar mit der Arbeit an gewissen Filmen, problematisch. Zuerst wird besetzt und dann erst überlegt, was der oder die, den man da besetzt hat, sagen soll. Zuerst stellt sich die Frage: „Wie soll der, der uns repräsentiert, ausschauen?“ Früher wäre doch – denken Sie nur an „Kreisky gegen Taus“ – die Frage, wie jemand ausschaut, nie ein Thema gewesen. Was soll z.B. heißen, „Der Herr Gusenbauer ist hässlich und der Herr Schüssel schmallippig?“ Das ist doch wohl ein Symptom des oben Diagnostizierten.

Wo liegen dann die Inszenierungsprobleme mit Darstellern, die (noch) keinen Text haben?
Na, jeder Schauspieler braucht eine Bindung zum szenischen Inhalt.

Also zum Beispiel Josef Broukal: zuerst ein Star im Darstellungsfach Infotainment und jetzt wird er als potentieller Minister gecastet, als würde plötzlich Klaus Maria Brandauer an der Seite von Roland Düringer auftreten.
Broukal ist einer der Quereinsteiger, denen ich so etwas wie Beredtheit und Haltung zusprechen würde. Es ist auch gar nicht auszuschließen, dass so etwas funk tioniert, auch als Inszenierung gegen den Strich. Das wäre ja noch interessant.

Aber wo passieren dann in diesem Wahlkampf die „Regiefehler“?
Ich habe den fürchterlichen Verdacht, dass das gar keine Fehler sind, sondern eine systemimmanente Störung – wenn plötzlich doch menschliche Aspekte durchblitzen. Das wird dann als kontraproduktiv empfunden – wenn jemand überfordert ist, mit dem Text oder der Haltung, die er einzunehmen hat. Wenn etwa Herr Haider gewisse Attacken gar nicht mehr plant, sondern es mit ihm durchgeht. Er müsste ja auch ein noch unglaublicheres schauspielerisches Talent haben, wenn er all diese Sprünge kalkuliert setzt.

Ironischerweise bricht also beim „Fehler“ gerade das durch, was inszeniert werden sollte: der Mensch.
Genau. In dieser Inszenierung ist er der Fehler. Wie agiert aber so jemand mit beschränkter Redezeit und ich dreh ihm den Ton weg? Bei „Schüssel gegen Gusenbauer“ habe ich das kurz gemacht. Da saß der eine mit einem leichten Unterschätzungssyndrom jemandem gegenüber, der brav geübt hat. Ganz wichtig: ich rede da jetzt nicht von Inhalten. Es ist noch immer der Ton weg. Da war ganz klar, dass es nicht um eine Gesamtsituation geht, zu der sich Gusenbauer oder Schüssel verhalten und die sie gestalten wollen. Das Problem für beide war eine zeitlich limitierte Performance, die vor laufender Kamera gebracht werden musste. Es geht nur um diese eine Begegnung. Und dabei hat sich Schüssel vermutlich – quasi als Titelverteidiger – stärker auf einen Routinefaktor verlassen als der Herausforderer Gusenbauer.

Diese mentale Fixierung auf jeweils abgeschlossene Segmente von Sendezeit, in der man zeigt, was Sache ist – ihr steht dann für die Zeit nach der Wahl der totale Konjunktiv entgegen. Fast jeder kann sich da beinahe alle Möglichkeiten und Optionen vorstellen. Wenn man sich so ein Szenario als Treatment für, sagen wir, eine TV-Serie vorstellt...
So ein Drehbuch würde nie angenommen. Oder nein: natürlich gab es in den USA schon mehr oder weniger mediokre Scriptwriter, die gesagt haben: „So, ich habe da jetzt ein zweiseitiges Treatment. Kauft mir das um zwei Millionen Dollar ab, und ich überlege mir dann, wie es weitergeht.“ Normal ist aber, dass man mit so etwas hochkant hinausfliegt.

Aus der Sicht der Produzenten/Kunden/Wähler könnte man aber auch sagen: gerade aus so einem Vertrauen ins Blinde hinein kann ja durchaus Großartiges entstehen.
Sicher. Nicht jeder Film braucht ein durchentwickeltes Drehbuch. Aber, wenn ich das auf diesen Wahlkampf umlege: worauf soll man da vertrauen, wenn sich die Sinnhaftigkeit ganzer Programmschienen immer weniger vermittelt? Das wäre von Seiten des Wählers, wenn schon nicht unprofessionell, so doch verantwortungslos.

Ein Teil der Nichtwähler sagt also: „So eine Entscheidung kann ich aufgrund mangelnder diskutabler Vorschläge schlicht nicht treffen. Von den Treatments, die mir da vorgelegt wurden, ist keines akzeptabel.“ Eigentlich müsste man die ganze „Sendeschiene“ in Frage stellen. Eigentlich müsste man jetzt selbst aktiv werden und Vorschläge entwickeln – etwa, indem man weniger simple Argumentationsketten verfolgt.
Und da beginnt aber erst recht das dramaturgische Problem. Dafür bräuchte man Zeit – und die hat man kaum, weder in der Konzeption noch in der Vermittlung. Überall wird ja vermittelt: „In so und so vielen Tagen ist Wahl. Jetzt nicht raunzen. Es muss und es wird etwas geschehen, so oder so.“ Auch wenn das permanente Nach- und Umbesetzungen erfordert. Schüssel hat zum Beispiel das Problem, dass er der Akteur eines Filmes ist, der anders verlaufen ist, als es im Treatment stand. Es stellt sich, wenn man an den Ausgang der letzten Wahl denkt, die Frage, ob dieses Treatment überhaupt von den Wählern bestellt wurde. Und jetzt sitzt man vor etwas, das man vielleicht gar nicht wollte, das aber aus Zeit- und Kostengründen aufrecht erhalten werden musste.

...und eigentlich von den Medien permanent als Notwendigkeit weiter inszeniert wird. Die Quote stimmt. Noch.
Über diese Produzenten von Öffentlichkeit kann man aber wiederum kaum sprechen. Weil man sie kaum kennt. Und weil man sie manchmal braucht. Österreich hat ein sehr höfisches System, das mit der Verwaltung von Demokratie erratisch umgeht. Mir hat dieses Bild mitunter geholfen, wenn ich mich etwa gefragt habe, warum es hierzulande einen so ausgeprägten Neidreflex gibt. Wenn jemand etwas macht und damit erfolgreich ist, dann wäre es eine logische Reaktion, das zu sehen und etwas Besseres machen zu wollen. Der österreichische Reflex hingegen ist: “Gut, aber der wird es auch noch billiger geben.“ Die Dinge werden tendenziell immer eher nivellierend gedacht. Das ist für mich höfisch. Genauso funktioniert ja auch das Günstlingswesen.

Ein Beispiel aus der Medienmonarchie: der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer erhielt kurz vor Beginn des Wahlkampfs von Schüssel das Goldene Ehrenzeichen überreicht – in Anwesenheit von Krone-Chef Hans Dichand, der mit Mailer seit Jahren an einem „Sisi“-Drehbuch arbeitet. Schüssel betonte, dass er sich auf diesen Film freut. So eine Szene müssten Sie für einen Ihrer Filme erfinden.
Mit Mühe.

Weil sie unwahrscheinlich wirkt?
Nein, weil sie einen derart komplexen dramaturgischen Vorbau braucht, einen Aufwand, den das komische Ergebnis nicht wert wäre.

Da ist also vorher „zu viel“ passiert, das man nachher, in konventioneller Erzählzeit, kaum einlösen kann?
Ja, das wäre geradezu antiklimaktisch – wenn die Vorgeschichte einen derartigen Schneeball entwickelt, gegen den die Pointe vergleichsweise klein ist: Ein Akt propagandistischer Willkür, wie man ihn sich, auf gut Wienerisch, nicht „ausderdenkt“.

Als Schlussszene ist so etwas zu schwach. Und als Anfangsszene taugt sie nicht. Sie ist eine Art Durchlauferhitzer.
Genau.

Wenn man jetzt als Gusenbauer den Herrn Schüssel mit so etwas konfrontieren will, hat man also, unter Vorgabe der Sendebedingungen eines TV-Duells etwa, keine Chance. Das ist zu kompliziert und andererseits nicht witzig genug. Obwohl: Schüssel würde ja permanent zwischenfragen: „Ist denn der Mailer kein großer Autor? War denn 'Sisi' kein erfolgreicher Film?" Und niemand nimmt den Anschlussfehler zwischen zwei solchen Behauptungen, die mit einer Haltung nicht zusammenzukriegen sind, wahr.
Und der Desavouierte ist dann eher der, der durchaus relevante Kritik vorbringt. Weil: er ist zu umständlich. Richtiger: die Sachverhalte sind umständlich. Aber das interessiert jetzt keinen. Jetzt geht es um diese Stunde Sendezeit. Und dafür hat man Spin-Doktoren, die es einem ermöglichen, Zeit ökonomisch zu nutzen, Schlagzeilen zu formulieren und auch bei „heißen“ Themen gelassen zu bleiben. Das am ehesten Komplexe ist da noch, wenn man sagt, dass man als patriotisches Arbeiterkind nicht hier säße, wenn es die Errungenschaften der Sozialdemokratie nicht gäbe. Das hat – Ton wieder eingeschaltet – funktioniert.

Und dann sagen die Leute: „Jaja, das Arbeiterkind." Oder, wenn sie das schon wieder vergessen haben: „Der war nicht schlecht. Der funktioniert.“
Ja, das zieht sich auf immer diffusere Bereiche zurück. Früher, wenn man am Stammtisch streiten wollte, hat man zumindest eine „Unterlage“ in Form eines "Krone"-Artikels gebraucht. Heute ist das auch schon fast überflüssig. Alles wird kürzer, leichter, kindlicher. Ich erinnere mich noch gut an die unglaublichen Einschaltziffern der einstigen Mini-ZiB, dieser ORF-Nachrichtensendung für Kinder, wo man draufkam, dass da in Wahrheit ganz viele Erwachsene zusehen – in einem sehnsüchtigen Vorgriff auf das, was sie jetzt ohnehin haben. Da wurde etwas vereinfacht und man konnte es sich völlig blamagefrei reinziehen. So etwas wie „politische Kommentare“ oder Reden „zur Lage der Nation“ lässt die Mehrzahl der Leute maximal nur noch über sich ergehen – und das hat nicht nur mit der Qualität dieser Kommentare und Reden zu tun. Alte Binsenweisheit: Bilder sind stärker als Worte.

Wie fühlen Sie sich als höchst erfolgreicher Bilder-Produzent in diesem System? Welche Rolle spielen Sie da und welche Freiräume oder, um beim Begriff zu bleiben, welche Sendeschienen hätten Sie gerne? Ihnen wird ja vermutlich auch mitunter gesagt: "Du denkst jetzt zu kompliziert?"
Da ist meine Antwort vermutlich enttäuschend bis unvorsichtig: bei gewissen Inhalten, die wir etwa mit MA 2412 in den Hauptabendschienen durchbrachten, habe ich mich gewundert, dass das überhaupt geht. Man kann zu dem Genre stehen, wie immer man will und gewisse Schmähs blöd finden, aber der Toleranzfaktor gegenüber Kritik an der Quotenmaschine Fernsehen selbst war da überraschend hoch. Ich habe da bislang nie Interventionen, wie sie etwa aus Deutschland berichtet werden, erlebt.

In Österreich geht da mehr?
Es gibt wohl so etwas wie geliebte und ungeliebte Hofnarren. Und es hat da sicher jemand wie Ernst Hinterberger wichtige Vorarbeit geleistet. Und so friktionsfrei war das ja auch nicht, wenn etwa die Kronenzeitung den Kaisermühlenblues als kryptokommunistisch angeprangert hat...

Was wiederum die „Qualitätszeitungen“ und die Medien, denen das zu wenig gehaltvoll ist, kaum je interessierte. Auch hier ist ja der Umgang mit „Erfolg“ diskutabel.
Also, ich bin, was Kritik an meiner Person und meinen Filmen anbelangt, nicht wehleidig. Und es ist fast witzig, dass ich von den heimischen Kritikern, was man in so einem kleinen Land nicht für möglich halten sollte, bislang maximal drei face to face kennen gelernt habe. Bizarr war es manchmal aber schon, wenn ich plötzlich ideologisch in ein völlig falsches, restauratives Eck gestellt wurde. Oder mir eine extrem kommerzielle, voyeuristische Ausrichtung unterstellt wurde.

Kommen wir doch zu einem durchaus bedenkenswerten Kritikpunkt: ob sich nicht die Helden Ihrer Filme – zuletzt etwa Roland Düringer als Gerry Schartl in Poppitz – nicht gar zu bequem in ihren Ressentiments, ihrer Bequemlichkeit, ihrer Aggression einnisten. So wie früher Volksschauspieler und UFA-Stars.
Aber gerade in Poppitz war es uns doch wichtig, dass der Held seine Katharsis nur als vage Hoffnung erfährt, als potentieller Ungustl erhalten und spürbar bleibt. Also, dass der Zuschauer ein Stellvertreter-Erlebnis hat. Da sehe ich jemanden, der mich widerspiegelt und das nicht einmal als zwingender Sympathieträger.

Aber eben auch als Star, der dann wie Düringer auch in Interviews nicht ohne Stolz und populistisch sein Banausentum verkauft. Die man in Österreich – anders als Stars in Hollywood – kaum jemals anders zu besetzen wagt. Düringer oder Dorfer als Briefbomber: das hätte ja in der Tat Potential.
Dieses Potential gibt es natürlich. Aber es ist schon komplizierter, als Sie das darstellen. Roland tanzt z.B. gewissermaßen in drei Genres: Kabarett, Film und, aufgrund seiner Popularität, im Boulevard. Zwangsläufig. Und dieser Boulevard, diese Gesellschaftsberichterstattung, ist heute großteils vom Berufsstand der Gaukler bevölkert, zum Teil auch nur scheinpopulären – weil es in diesem Land so etwas wie intellektuelles Großbürgertum nicht mehr gibt. Das wurde im letzten Krieg vertrieben oder vernichtet  – und medial durch die Gaukler aus dem Film- und Fernsehzirkus ersetzt.

Was wäre Ihnen für zukünftige Projekte ein Anliegen - so quasi ein Herzensprojekt?
Historische Filme würde ich gerne öfter machen. Weil man da etwas in die Gegenwart retten und gleichzeitig auch über diese Gegenwart sprechen kann.